Tag 5 – 15. Juni 2016
Nun war es also soweit, der letzte Tag unserer Tour ist angebrochen. Mit der Aussicht auf Zivilisation und richtiges Essen hatten wir auf ein Frühstück verzichtet und haben uns mit einem Kaffe begnügt.
Besonders fies war dann, dass direkt vor uns alle 2-3 Minuten ein Fisch aus dem Wasser gesprungen ist. Auf jeder Bank auf der wir genächtigt hatten, habe ich erfolglos versucht einen Fisch zu fangen und die Verlockung war gross, es hier zu versuchen. Der Verstand hat aber schliesslich über den Jagdinstinkt gesiegt und wir sind gegen 10:00 Uhr, so früh wie noch nie, losgefahren.
Der Ticino zeigt sich hier nochmals von seiner schönsten, aber auch ruhigsten Seite. So gleiten wir gemütlich mit der Strömung an Sandstein Wänden vorbei, staunen über die Breite die der Fluss hier teilweise nochmals annimmt und geniessen die letzten 10 Km unserer Tour. Bald sehen wir in der Ferne eine Brücke und die ersten Boote am Linken Ufer stehen, wir haben die Ausstiegsstelle in Pavia erreicht.
Wie uns ein freundlicher Herr auf Französisch und Englisch nebst allerlei Geschichten über die Schweiz und den Zweiten Weltkrieg erklärt hat, liegt der Camping entgegen unserer Annahme nicht direkt am Fluss sondern etwas oberhalb, also mussten wir das Boot noch einen knappen Kilometer durch die Pampa ziehen, bis wir endlich am ersehnten Campingplatz angekommen sind.
Nachdem wir alles aufgebaut und die Toiletten- und Duschanlagen intensiv genutzt hatten, kam dann langsam die Realisierung, dass es nun vorbei ist und ich fühlte mich irgendwie leer. Die Leere haben wir am Abend mit einem schönen Essen, viel Wein und Gesellschaft unseres Nachbarn, der mit seinem Fahrrad von Nyon in den Iran fährt, versucht zu füllen 😉
Die Tour endete danach auf ähnliche Weise wie sie angefangen hat, im Zug nach Hause der von Mailand bis Bern durchfuhr.
Fazit
Wild und frei, dieses Gefühl haben wir uns vom Ticino Inferiore erhofft und der Fluss hat uns in keinster Weise enttäuscht. In einer überwältigenden Landschaft bahnt er sich seinen Weg durch Wälder und Schluchten, Menschen sieht man nur selten (meist nackte Männer – die Vorliebe zum Gruppen-Nacktsonnen der Italiener hatte ich noch gar nicht erwähnt) dafür viele Vögel die ein beeindruckendes Orchester von sich geben können, wenn man sich eine Insel mit ihnen teilt.
Aber auch paddeltechnisch wird es nie langweilig, ständig muss das Boot auf Kurs gehalten werden, denn da kommt schon die nächste Kurve, hier ein Baum dem wir ausweichen müssen, bei der Insel müssen wir uns für rechts- oder linksrum entscheiden und hier kommt noch ein Motorboot auf uns zu (ja davon gab es leider auch ein paar Wenige). Dann kommen natürlich noch die “bekannten” Hindernisse hinzu
, die Dämme und Brücken bei denen eindeutig nicht an Kanuten gedacht wurde.
Vorallem aber gab es immer Strömung, wir mussten nie aus eigener Kraft paddeln um vorwärts zu kommen, was nach unserer Tour auf der Aare und den 50km Paddelstrecke da drauf ein grosser Pluspunkt ist. Das Wichtigste aber: keine einzige Schleusse, keine einzige Stelle an der wir umtragen mussten (naja bei einer hätten wir besser sollen… ;)).
Die Logistik war auch sehr unkompliziert nachdem wir mal verstanden haben, dass wir den Bus zum Flughaft telefonisch reservieren müssen. Für Faltcanadier wie wir die mit ÖV unterwegs sind, bekommt man für einen relativ kleinen Zeit- und Geldaufwand ein ungemein lohnenswertes Erlebnis geliefert von dem wir nicht gedacht hätten, dass dies im durchregulierten, wildcampen-verbietenden Europa möglich ist.
So können wir jedem der einen Canadier sein Eigen nennt und diesen einigermassen selbstbewusst beherrscht nur das raten: macht diese Tour, es ist die ideale Canadier Strecke für Leute die etwas Abenteuerlust verspüren und genug haben von verbauten Flüssen und ständigem Wehrumtragen. Der Ticino ist der Fluss für Leute, die das Pure Canadier Erlebnis(TM) suchen in einem einigermassen sicheren Rahmen ohne Bären und Bergpumas vor denen man sich in Acht nehmen muss. Und das Alles in mediterranem Klima 😉
Allerdings hat der Fluss auch seine Tücken und ist in unseren Augen nicht für eine feucht-fröhliche Partyfahrt geeignet, persönlich würde ich meine Kinder auch nicht auf die Tour mitnehmen, da sehr viel Potential für Fehler auf dem Ticino besteht und es liegt in der Natur der Sache, dass Fehler fernab der Zivilisation schnell böse Konsequenzen haben können. Deswegen ist ständige Wachsamkeit und Bootskontrolle unumgänglich, gemütliches Dahintreiben bietet der Ticino nur sehr selten.
Den Wasserstand und auch die Jahreszeit fanden wir nahe am Ideal, viele Hindernisse waren entschärft durch das viele Wasser und wir konnten ausser der teilweise recht hohen Fliessgeschwindigkeit nichts Nachteiliges oder Gefährliches an dem hohen Stand ausmachen. Die Mücken haben uns die ersten Tage auch noch in Ruhe gelassen, die letzten beiden Nächte haben sie uns dann aber leer gesaugt. Die Temperaturen waren aber sehr angenehm und die Nächte lau, nur die Wassertemperatur war ein Tick zu kalt zum Baden und die Gewitter hätte es auch nicht gebraucht.
Ums kurz zu machen (haha): Wir werden sicherlich die Tour in ein paar Jahren wiederholen, wer einmal den Ticino befahren und erlebt hat wird alle künftigen Touren damit vergleichen und früher oder später unweigerlich zu ihm zurückkehren.
Vielen Dank fürs Lesen, ich hoffe es hat Spass gemacht und dass die Lust in dem Einen oder Anderen geweckt wurde, auch mal ein Abenteuer auf dem Ticino zu erleben. Ihr könnt mir gerne Fragen zur Tour aber auch Feedback zum Bericht ins Kommentarfeld posten. Wenn ihr einen eigenen Bericht zum Ticino online habt würde ich mich ebenfalls über einen Link freuen.
So long…
raphi